Die Literatur der Ukraine

Ein Land im Tauziehen um die eigene Identität

So geeint wie die ukrainische Nation heute wirkt, so vielfältig waren die auf sie wirkenden äußeren Einflüsse über die Jahrhunderte und so immens war die Dominanz anderer Völker im Land. Der berühmte russische Literat Nikolai Gogol schrieb einst in einem Brief an eine Freundin, er wisse nicht ob er Russe oder Ukrainer sei. Und so ging es nicht nur ihm, sondern den meisten Schriftstellern fast bis heute, welche stets unter Fremdherrschaft litten und aus unterschiedlichen Ethnien kamen. Denn schon immer gespalten in Ost und West ist die Ukraine ein Land, welches Ukrainer, Russen, Polen, Rumänen, Deutsche und Juden gleichermaßen als ihre Heimat ansahen.

Aller Anfang ist schwer

In den Anfängen der Kiewer Rus‘ wurde unter den Gelehrten lediglich das Kirchenslawische, eine Lingua franca vergleichbar mit dem Lateinischen in Europa, verwendet. In ihr wurden die ersten Chroniken der Rus, allen voran die Nestorchronik (russ. ,Povest vremennych let‘, deutsch ,Erzählung der vergangenen Jahre‘ - 1113- 1118) geschrieben, welche als Entstehungssage den Grundstein nicht nur für die Identität der Ukrainer, sondern auch der Weißrussen und Russen legte.

Das 1187 verfasste Igorlied (ukrain. ‚Slovo o polku Ihorevim‘), welches erst 1795 in einem Kloster im russischen Jaroslawl wiederentdeckt wurde, gehört ebenso zum Fundament nationalen Bewusstseins. Der Text nimmt heute noch Platz im Literaturkanon ukrainischer Schulen ein. Er erzählt vom missglückten Feldzug im Jahre 1185, den der russische Fürst Igor Swjatoslawitsch gegen die Polowzer, ein Turkvolk, führte. Die Autorenschaft des Textes ist zwar bis heute ungeklärt, aber sein Bekanntheitsgrad ist dennoch so hoch, dass es unter anderem von Rainer Maria Rilke ins Deutsche und von Michail Bulgakow ins Englische übersetzt wurde.

Neben diesen frühen Hinterlassenschaften des Mittelalters, gibt es bis zur Aufklärung wenige erhalten gebliebene oder bedeutende Schriften. Das Kirchenslawische blieb bis in das 18. Jahrhundert in öffentlichen Einrichtungen und in der Kirche die Sprache der Gelehrten und stets unter russischer Vorherrschaft. Lange Zeit war es verpönt auf Ukrainisch zu schreiben, weshalb keine eigene Schriftsprache entstehen konnte.

Erst mit dem Philosophen Hryhorij Skoworoda (1722- 1794) kamen die ersten Texte auf, die sich neben des Russischen auch des Ukrainischen bedienten und mit dem Gegensatz beider Sprachen spielten. Skoworoda verbrachte die zweite Hälfte seines Lebens als wandernder Philosoph und ist mit seiner berühmten Grabinschrift: "Die Welt jagte mich, konnte mich aber nie fangen" heute noch als ‚russischer Sokrates‘ bekannt.

Der Dichter Iwan Kotljarewskyj (1769- 1838) aus der zentral gelegenen Stadt Poltawa legte den Grundstein zur Entwicklung einer eigenen Schriftsprache mit seiner burlesken Version der Aeneis (Enejida) im Jahre 1798. Darin bot er, angelehnt an das antike Original Vergils, einen Einblick in Geschichte und damalige Lebens- und Gedankenwelten im Südwesten des Russischen Reiches.

Unter der abwertenden Haltung gegenüber dem Ukrainischen litt ein weiterer Wegbereiter einer eigenständigen Literatursprache, der Dichter Taras Schewtschenko (1814- 1861). Obwohl sich seine Gedichte auf Ukrainisch großer Beliebtheit erfreuten, herrschte unter dem russischen Adel die Meinung, die Verse würden durch diesen ‚Bauerndialekt‘ viel von ihrer eigentlichen Schönheit einbüßen.

Doch für die Ukrainer steht der Name Schewtschenko immer noch für Freiheit. Bis heute wird er, und das nicht nur wegen seines Einflusses auf die Sprache, von ihnen gefeiert. Denn aufgewachsen als Leibeigener und stets im Kampf um seine Publikationsfreiheit hielt er bis zum Tod an seinen Idealen der Demokratie und Gleichberechtigung fest. Obwohl sogar der Zar persönlich Schewtschenko ins Exil schickte und ihm dort ein Mal- und Schreibverbot auferlegte, schaffte es der Dichter mit Hilfe von Freunden weiterhin zu veröffentlichen, was unter anderem zu heute noch populären Werken wie seine Gedichtsammlung "Kobsar" führte.

Im 19. Jahrhundert lebte ebenso der Schriftsteller Nikolai Gogol (1809- 1852), welcher auf Ukrainisch und Russisch schrieb und später vor allem in Russland bekannt wurde. Geboren in Welyki Sorotschynzi nahe der zentralukrainischen Stadt Poltawa und als Freund Puschkins entstanden unter seiner Feder Werke wie "Der Revisor" und "Die toten Seelen".

Auch von außerhalb kamen Schriftsteller ins Land. Im Jahre 1848/49 verbrachte der französische Autor Honoré de Balzac (1799- 1850) den Winter in Werchownia bei Berdytschiw, um sich von einer schweren Krankheit auszukurieren. Im Sommer darauf heiratete er hier kurz vor seinem Tod seine langjährige Partnerin Ewelina Hañska, eine ukrainische Adlige.

Alexander Puschkin (1799- 1837), einer der größten russischen Dichter, verweilte in den Jahren 1820 bis 1824 unter anderem in Odessa und Kamjanka. Letzteres war eines der geheimen Zentren der Dekabristen, zu deren Ideen sich der junge Puschkin hingezogen fühlte. Während seines Aufenthaltes arbeitete er an einigen seiner berühmtesten Werke, unter anderem am Verszyklus Eugen Onegin, in welchem man im zehnten Kapitel sogar Eindrücke der Stadt gewinnen kann. Auch in geschichtsreichen Odessa ließ sich der Dichter direkt nach seiner Verbannung für eine Zeit nieder, wo er trotz des Exils durch den regen Kontakt mit dem Ausland meinte, "ganz Europa atmen zu können".

Für Anton Tschechow (1860- 1904) stellte die Ukraine eher eine Art Zufluchtsort dar. Die Familie Tschechow mietete bereits Ende des 1889 ein Landgut in Sumy im Norden der heutigen Ukraine an, wo Tschechow für einige Zeit arbeiteten konnte. Ein weiteres Mal suchte der schon früh an Tuberkulose erkrankte Tschechow auf der Krim Zuflucht vor seiner Krankheit. Auf Rat der Ärzte kaufte er in der Nähe der mildklimatisierten Halbinsel Jalta ein kleines Landgut, wo er sich seit 1899 niederließ. Obwohl die ruhige Gegend für den an das Moskauer und Petersburger Stadtleben gewöhnten Künstler bisweilen nicht immer interessant genug war, verfasste er hier unter anderem zwei seiner berühmtesten Werke "Der Kirschgarten" und "Drei Schwestern".

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Neue literarische Lichter

Mit der zweiten Hälfte des 19. Jh. wurde die Klammer Russlands um die Ukraine immer enger gezogen. Ab 1863 tauchte unter dem russischen Innenminister Valuev das erste Verbot ukrainischer Sprache auf, welches ihre Existenz völlig zu negieren versuchte. Mit dem Emser Erlass von 1876, welcher die Verbreitung ukrainischen Schrifttums komplett unter Strafe stellte, wurde nach der Ära Schewtschenkos das Publizieren fast unmöglich.

Dies führte dazu, dass sich die Zentren des literarischen Schaffens vor allem außerhalb des russischen Herrschaftsgebietes bildeten und so auch die Thematik des eigenen Nationalbewusstseins an Bedeutung gewann. Mit diesem Thema beschäftigte sich vorrangig der nach Schewtschenko berühmteste Literat des 19.Jh. Iwan Franko (1856- 1916). Als Lyriker, Dramatiker und Prosaiker im literarischen Realismus prägte er mit soziopsychologischen und sozialkritischen Werken wie "Die Steinhauer" oder "Das lächelnde Glück" das Nationalempfinden der Ukrainer und schlug im Denken und im Schrifttum eine Brücke zur modernen ukrainischen Literatur.

Mit dem Verbot der ukrainischen Sprache, florierte daneben das Schrifttum verschiedener anderer Nationalitäten, als deren literarisches Zentrum sich insbesondere die Hafenstadt Odessa hervortat. Sie ist die Geburtsstadt des in Russland bekannt gewordenen jüdischen Schriftstellers Isaak Babel (1894- 1940) und war lange Aufenthaltsort für den in Wolhynien geborenen Nationaldichter Israels Chaim Nachman Bialik (1873- 1934), nach welchem eine der berühmtesten Literaturauszeichnungen benannt ist: der Bialik- Preis.

Das heutige Czernowitz stellt für die westliche Ukraine ebenso eine Hochburg literarischen Schaffens dar. Die Stadt, welche vor ihrer Übernahme durch die Habsburger lange zum moldauischen Fürstentum gehörte, beherbergt seit jeher nicht nur Ukrainer, sondern genauso Polen, Deutsche, Juden und Rumänen, welche eng verbunden mit der ukrainischen Heimat ihre Literatur bis in die Welt hinaus trugen. Eines der literarischen Kinder dieser Stadt war der Schriftsteller Mihail Eminescu (1850-1889). Zwar verbrachte er seine gesamte wenn auch recht kurze Schullaufbahn, die er mit vierzehn abbrach, um sich einer Wanderschauspielertruppe anzuschließen, an einer deutschen Schule, jedoch war er von klein auf von der Sprache der Rumänen begeistert. Einerseits beeinflusst von deutscher Literatur und ein Anhänger Schopenhauers, gewann er vor allem aus den Gedichten und Texten deutscher Literaten und Philosophen Inspiration für sein eigenes Werk, welches er ins rumänische umsetzte. Mit seinen Gedichten gilt er als Wegbereiter für die rumänische Hochsprache.

Ein weiterer wichtiger Überlieferer rumänischer Literatur war der Siziliane Gregor von Rezzori (1914- 1998). Mit seinem 1953 erschienenen Buch "Maghrebinische Geschichten", eine amüsante Utopie, die als Charakterskizze von Halunken und Ganoven an die Sitten im tiefsten Balkan erinnert, erlangte der dreimal verheiratete Schriftsteller den Ruf eines Unterhaltungsautors, dessen er sich auch später trotz der Veröffentlichung ernsterer Romane wie "Tod meines Bruders Abel" oder "Kain. Das letzte Manuskript" nicht mehr entledigen konnte.

Zu den im Westen wirkenden Autoren zählt ebenso der im wolhynischen Berditschew geborene polnische Literat Michał Czajkowski (1804- 1886), welcher zur Zeit der Romantik die gemeinsame polnisch-ukrainische Geschichte idealisierte und für seine kosakische Nationalliteratur bekannt war.

Ein Umstand, der vielen Lesern seiner Bücher unbekannt sein dürfte, ist, dass einer der größten englischen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts, Joseph Conrad (1857- 1924) ebenfalls aus der Ukraine, aus der Stadt Berditschew, stammt. Verbrachte Conrad doch den größten Teil seines Lebens in Großbritannien, dessen Staatsbürgerschaft er erwarb und verfasste seine Werke wie "Herz der Finsternis" in Englisch, einer Sprache, die er erst im 21. Lebensjahr zu erlernen begonnen hatte.

Ein weiterer Schriftsteller, der geboren in Brody seine Karriere als deutscher Literat bestritt und oft ebenso wenig mit der Ukraine assoziiert wird, ist der jüdische Journalist und Schriftsteller Joseph Roth (1894- 1939). Schon früh durch den Verlust seiner Eltern geprägt, widmete sich der redaktionell und politisch aktive Schriftsteller dem Ergründen sozialpolitischer Themen seiner Zeit und dem Suchen nach einer inneren Wahrheit, die sich stark an seine Religion anlehnte. Schauplatz seiner Werke ist zumeist die Heimatstadt des Literaten. Vor allem in seinen Werken "Der Leviathan" und "Das falsche Gewicht" benutzt er sie als literarische Landschaft, in welcher er das Leben der damaligen jüdischen Händler, Soldaten, Zöllner und Schmuggler beschreibt. Vor allem in seinem Essayband "Juden auf Wanderschaft" zeichnet Roth ein derart detailgetreues Bild der ukrainischen Grenzstadt, dass man meinen möchte, man könne die Spuren der damaligen Zeit mit seinen eigenen Schritten verfolgen.

Die Schrecken des 20. Jahrhunderts im multikulturellen Gedächtnis der Ukraine

Mit dem Eintritt in das 20. Jahrhundert lockerten sich die Zügel des russischen Regimes wieder und die Literatur warf hinsichtlich ihres Anspruches und ihrer Funktion neue Fragestellungen auf. Der Ton der Sprache wird zunehmend gesellschaftskritischer, revolutionärer, soziologischer, politischer und dramatischer. Eine führende Rolle innerhalb dieser Umwälzungen spielte unter anderem die ukrainische Dichterin Lesja Ukrajinka (1871–1913). Beeinflusst von großen Denkern wie Marx und Engels widmete sie sich in ihren Werken vorrangig den Themen nationaler Unterdrückung und sozialer Benachteiligung.

Eine weitere auf Ukrainisch schreibende Literatin und gute Freundin Ukrajinkas war Olha Kobylanska (1863- 1942). Berührt von den Werken großer deutscher, russischer und skandinavischer Literaten sowie von der Philosophie F. Nietzsches probierte sie sich zunächst im Schreiben auf Polnisch und Deutsch aus, fand damit jedoch keinen Anklang. Inspiriert von den großen Autoren ihrer Zeit wie Schewtschenko und Iwan Franko wandte sie sich darauf dem Ukrainischen zu, womit sie in der literarischen Welt bekannt wurde. Ihr berühmtester Roman "Die Scholle" wurde 1954 sogar verfilmt.

Ebenso der Literat Mikhaylo Kotsyubinsky (1864- 1913) sah sich vor allem durch die intensiven Studien Schewtschenkos dazu inspiriert, sich mit der Schriftstellerei zu befassen. Geboren in Winniza, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in Tschernihiv (Tschernigow), wo man heute noch ein Nationalmuseum zu seinen Ehren findet. Als Anhänger des Marxismus wurde er durch sein Werk "Fata Morgana" berühmt, welches angelehnt an die Revolutionen von 1905 bis 1907, die Konflikte und das ordinäre Leben in der Ukraine darstellt.

Später wurden die Werke Kotsyubinskys zur Sowjetzeit meist umgeschrieben und im Zeichen des sowjetischen Realismus veröffentlicht. Sein Werk "Schatten vergessener Ahnen", welches in Deutschland unter dem Namen "Feuerpferde" bekannt ist, wurde als erstes Werk des Regisseurs Sergej Paradschanow verfilmt. Eingebettet in ein Liebesdrama, lebt die Erzählung vor allem durch die märchenhaft erscheinende Darstellung des Lebens und der Traditionen der Huzulen, einem in den Karpaten lebendem russinischen Urvolk. Noch bis vor hundert Jahren schafften sie es fast komplett abgeschnitten von der restlichen Bevölkerung ihre Bräuche und Traditionen zu bewahren und so kann man noch bis heute ihre viele Huzulen finden, die ihre traditionellen Waren auf Basaren wie in der Stadt Kosiv verkaufen.

Wenn man sich noch eingehender mit den Traditionen und den Mythen der Huzulen beschäftigen möchte, sollte man sich das Werk "On the high uplands" von Stanislaw Vincent (1988- 1971) mit auf die Reise nehmen. Der polnische Schriftsteller wuchs in dieser Region auf und fand sich dort, wie er selbst angab, inmitten von vierzehn verschiedenen Kulturen wieder. Als Kulturvermittler ist er heute vor allem als Kenner dieses russinischen Schäfervolkes der Huzulen bekannt.

Seit der Gründung der Sowjetunion erstarkte Mitte der 1920er Jahre die ukrainisch sprachige Literatur und es entstanden verschiedene Strömungen wie der Futurismus und Impressionismus. Unter der Schirmherrschaft des Sowjetregimes bildeten sich mehrere Schriftstellerverbände, die die Ideologie des sozialistischen Realismus in die Literatur trugen. Jedoch spaltete sich die literarische Gesellschaft dieser Zeit wie bereits angedeutet in zwei Gruppierungen. War man Befürworter der Partei und verfolgte ihr Programm, so konnte man als sogenannter "Weggefährte" in Ruhe ans parteilich vorbestimmte literarische Werk gehen. War man jedoch Gegner oder hatte abweichende Ansichten, so drohten Verbannung und Schlimmeres. Dies führte dazu, dass viele Literaten im Ausland publizierten oder ins Exil gingen. Trotzdem ist gerade die Literatur der zwanziger Jahre mit ihren sozialkritischen und modernen Zügen heute noch maßgebend im Selbstfindungsprozess und in der Erinnerung des ukrainischen Volkes.

Mit der Ära Stalins und den nun dicht aufeinander folgenden Säuberungswellen wuchs der Druck auf weite Teile der ukrainischen Literaturszene. Verbote, willkürliche Verhaftungen, Folter, langjährige Gulagstrafen und Erschießungen waren an der Tagesordnung. Mehr als 300 ukrainische Schriftsteller wurden Opfer dieser Repressionen. Zusammen mit ihnen kam es zu einer Neuauflage der Russifizierungspolitik und einem Publikationsverbot für Schriften in ukrainischer Sprache. Viele Ukrainer sahen sich in ihrer Identität bedroht. Eine große Emigrationswelle während des 2. Weltkriegs war die Folge.

Eine der Millionen Tragödien dieses Krieges ist das Schicksal des jüdischen Mädchens Selma Meerbaum–Eisinger (1924- 1942) aus Czernowitz in der Bukowina. Schon früh begeisterte sich die deutschsprachige Dichterin für die Poesie und schaffte es selbst nach der Deportation in das deutsche Arbeitslager Michailovka weiter zu schreiben. 57 berührende Gedichte konnten nach ihrem frühen Tod im Alter von 18 Jahren bewahrt werden, in welchen sie unter Angst im Angesicht des Todes von ihrer unstillbaren Sehnsucht nach Leben erzählt.

Die Literatur der jüdischen Bevölkerung war dabei allem voran geprägt, durch ihr Bemühen die eigenen Bräuche und den Glauben weiterzugeben und durch die Verarbeitung der durch Pogrome entstandenen traumatischen Erlebnisse. So zieht sich in den Büchern des deutschsprachigen Schreibers Paul Celan (1920- 1970) vorrangig der tragische Verlust seiner Eltern im Arbeitslager und die mit ihm verbundenen Schuldgefühle wie ein Leitfaden durch sein Werk, was er mit Gedichten wie "Die Todesfuge" zu verarbeiten suchte. Jedoch gelang ihm die Überwindung des Schmerzes nicht und er wählte am Ende den Freitod. Der ihm enge Bekannte Moses Rosenkranz (1904- 2003) hingegen entging den Schrecken des Krieges und wurde trotz der vielen Tode, die er in der Zeit der Besatzung im Laufe seines Lebens gestorben ist, fast hundert Jahre alt.

Eine weitere Bekannte Paul Celans war die Dichterin Rose Ausländer (1901- 1988), welche er im Czernowitzer Ghetto kennenlernte und auf deren Schreibstil er zu einem späteren Wiedersehen in Paris maßgeblichen Einfluss nehmen sollte. Ihre Karriere begann mit einer Ausreise in die USA, wo sie bereits im Alter von 20 ihre ersten Werke zu veröffentlichte. Mehrere Male kehrte sie jedoch auf Grund ihrer kranken Mutter in ihre Heimat zurück, bis sie 1941 ins Arbeitslager verschleppt wurde, welches sie knapp überlebte. Erst zwanzig Jahre nach dem Krieg gelang ihr darauf der eigentliche Durchbruch als Dichterin mit ihrem Gedichtband "Blinder Sommer". Dem Schriftsteller Josef Burg (1912- 2009) gelang im Gegensatz zu Rose Ausländer 1941 die Flucht vor den Nazis. Er zählt heute zu den letzten auf Jiddisch schreibenden Literaten, welcher bis zu seinem Lebensende trotz einer Schaffenspause von vierzig Jahren an die zwanzig Romane verfasste.

Aus Lviv (Lemberg) stammt der polnisch- jüdische Autor Stanislaw Lem (1921- 2006), dessen Studium der Medizin und die Praxis als Arzt durch die Wirren des Krieges stets unterbrochen und verhindert wurden, bis er sich am Ende nur noch dem Schreiben widmete. Er entfloh der sowjetischen Besatzung und beschäftigte sich im österreichischen und polnischen Ausland vor allem mit dem Genre der Science Fiction, für welches er so berühmt wurde, dass seine Werke in bis zu sechzig Sprachen übersetzt wurden.

Ein weiterer polnisch- jüdischer Autor war der Schriftsteller und Literaturkritiker Bruno Schulz (1892- 1942), welcher in Drohobytsch aufwuchs und in diesem Ort bis auf vereinzelte Reisen sein Leben verbrachte. Dort begann er seine Karriere zunächst durch Hinwendung zur Kunst und Graphik und unterrichtete als Zeichenlehrer. Erst später entdeckte er durch den Briefwechsel mit seiner Frau ein Talent zum Schreiben, weshalb ihm sein erster Durchbruch erst im Alter von 40 gelang. Jedoch war ihm nur eine kurze Zeit zum Ausleben seiner schriftstellerischen Tätigkeit beschieden. Obwohl sein Tod häufig mit seiner Flucht aus dem Ghetto begründet wird, ereignete sich sein Ende noch fast auf tragischere Art und Weise. Als Leibeigener des Kommandanten Felix Landau wurde er Opfer im Spiel um Rache, als dieser eines Tages auf die Verweigerung mehrerer jüdischer Arbeiter hin die Erschießung sämtlicher Juden in einer ausgewählten Gasse im jüdischen Ghetto veranlasste. Zwar betraf dieses Erschießungskommando nicht Bruno Schulz selbst, jedoch zählte zu den Verstorbenen ein anderer Privatjude des SS-Kommandanten Karl Günther. Als Ausgleich für seinen Verlust und als grausamen Racheakt verlangte dieser darauf hin die Erschießung des Privateigenen von Felix Landau, was das Ende für das Leben von Bruno Schulz bedeutete.

Besonders bedacht auf die Vermittlung und den Erhalt jüdischer Kultur und Tradition waren die Schriftsteller Karl Emil Franzos (1848- 1904) und der im galizischen Butschatsch geborene Samuel Joseph Agnon (1888- 1970). Aufgewachsen mit den Bräuchen der Chassidim und des östlichen Judentums zog Joseph Agnon bereits früh nach Palästina und kam in den nächsten Jahren pendelnd zwischen Berlin und Jerusalem nur selten in seine galizische Heimat zurück, die massiven Pogrome unterlag. Er bemühte sich Zeit seines Lebens um die Erhaltung jüdischer Kulturen und skizziert häufig in seinen Werken eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben, wofür er 1950 sogar mit den Bialik-Preis geehrt wurde. Der unter dem Einfluss deutsch-jüdischer Spannungen stehende und in Podolien geborene Schriftsteller und Redakteur Karl Emil Franzos hingegen legte sein literarisches Augenmerk vor allem auf die Kommunikation zwischen Deutschen und Juden, was ihm unter anderem durch Übersetzungen aus den jeweiligen Sprachen gelang.

Auch der 1908 im galizischen Butschatsch geborene jüdische Schriftsteller Simon Wiesenthal (1908- 2005) bemühte sich um die Aufklärungsarbeit, welche nach dem Krieg nötig wurde und berichtete von den Schrecken im Holocaust. Ihm gelang es, ganze 12 KZ’ s zu überstehen, wodurch er in den Nachkriegsjahren nicht nur als Zeitzeuge das Erlebte aufzeichnen, sondern einen großen Teil zur Verfolgung der Verbrecher beizutragen konnte.

Der Weg in die Freiheit

Erst mit dem Tod Stalins schmolz unter Chruschtschow während der Tauwetterperiode in den 50er und 60er Jahren allmählich das Eis und die bis dahin engen Grenzen des offiziellen Sozialistischen Realismus weiteten sich etwas. Nun erst konnten, gut 30 Jahre nach seinem Tod 1940, die Arbeiten des in Kiew geborenen Michail Bulgakow veröffentlich werden. Immerhin bekam das sowjetische Publikum jetzt Zugang zu so grandiosen Werken wie "Der Meister und Margaritha", in dem der Autor in satirisch-phantastischer Form das Leben im Moskau der 20er Jahre schildert. Jedoch dauerte es noch bis Mitte der 80er Jahre als im Zuge der Reformpolitik Gorbatschows wieder vollkommen frei auch innerhalb der Ukraine publiziert werden durfte. Erst jetzt tauchten die Werke der Exilliteraten im eigenen Land auf, klassische Autoren des 19. Jh. durften wieder gelesen werden, die Literatur hatte ihre Ketten verloren, aber auch die Absicherung durch einen Staat, der Wohlverhalten mit materiellen Privilegien honorierte.

Seit der Unabhängigkeit floriert die ukrainisch-sprachige Literatur uneingeschränkt. Inzwischen kann im Land frei in der Landessprache publiziert werden und man findet große Autoren wie Jurij Andruchowytsch mit seinem Bestseller "Die zwölf Ringe" oder andere wie Ljubko Deresch, Oksana Sabuschko, Serhij Schadan (Sergej Zhadan), Jurij Fedkowytsch und Ossyp Makowej. Trotzdem bleibt die Ukraine ein Flickenteppich mannigfaltiger Sprach- und Kultureinflüsse, worauf sich bis in die Neuzeit das gemeinsame Selbstverständnis gründet.

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