Der Begriff "Weißrussland"

Wie der Name Belarus entstand

Weißrussland ist die Lehnübersetzung des Wortes Belarus (russ. белый – weiß, Русь – die Rus). Früher wurden den Ländern, die zur Kiewer Rus gehörten, zahlreiche Epitheta bzw. Beinamen gegeben. Zum Beispiel wurden die jeweiligen Gebiete Rote Rus, Galizier Rus, Schwarze Rus, Weiße Rus, Große Rus oder Kleine Rus genannt. Die Weiße Rus erwies sich als der lebenskräftigste Name und im Laufe einiger Jahrhunderte wurde dies zum Namen des souveränen Staates. Üblicherweise wird in Lehrbüchern und Nachschlagwerken angegeben, dass die Herkunft des Begriffs nicht endgültig geklärt ist. Am häufigsten jedoch werden fünf Varianten angeführt:

  1. Gemäß der Ersten wurde das Territorium, das im 13. Jahrhundert von den mongolischen Khanen nicht unterjocht wurde, Weiß genannt. Dschingis Khan und seine Nachfahren hatten das Territorium von China bis zur Wolga zwischen 1237-1242 erobert und kontrollierten dieses bis zum Jahr 1480. Die Polozker Fürsten und ihre Nachbarn leisteten den mongolischen Khanen jedoch erfolgreich Widerstand und konnten so selbstständig bleiben. Weiß stand in diesem Fall für unabhängig, frei.

  2. Laut der zweiten Variante kommt der Name von der weißen Haar- bzw. Kleidungsfarbe der Ureinwohner der jeweiligen Territorien.

  3. Die dritte Variante handelt davon, dass die Weiße Rus christlich war, im Gegensatz zu der Schwarzen Rus, die lange Zeit heidnisch blieb. Die Schwarze Rus erstreckte sich im 13.-14. Jahrhundert auf das Einzugsgebiet des Flusses Neman (Memel), mit Hauptsiedlungen zwischen der sich auf dem jetzigen belarussischen Staatsgebiet befindlichen Städte Lida und Nowogrudok.

  4. In einer weiteren Variante wird die Vermutung geäußert, dass die Himmelsrichtungen in folgender Weise interpretiert wurden: das Weiße – Westen, das Blaue – Osten, das Schwarze – Norden, das Rote – Süden. Da das Territorium des modernen Belarus vom 9. – 13. Jahrhundert im westlichen Teil der Rus lag, wurde es entsprechend benannt. Damals reichte die Kiewer Rus von der Halbinsel Taman (heutiges Russland) im Süden bis zum Oberlauf der Nördlichen Dwina im Norden und vom Dnister und dem Oberlauf der Weichsel im Westen bis zu den Nebenflüßen der Wolga im Osten.

  5. Die fünfte Variante wird vom weißrussischen Historiker Wazlaw Lastowskij angeführt, der die Namensherkunft mit dem Heidentum verbindet. Gemäß dessen beteten baltische und slawische Volksstämme bis zum 12. Jahrhundert Belobog (russ. weißer Gott) an.

Diese Interpretationen können jedoch dokumentarisch nicht einwandfrei belegt werden. Jedenfalls ist Weißrussland (Belarus) ein sehr alter Begriff. Der russische Gelehrte Wladimir Lamanskij verweist darauf und beruft sich auf den österreichischen Dichter Peter Suchenwirt (14. Jahrhundert), der in seinen Poemen die "Weiße Rus" erwähnte und die Einwohner "Di Weissen Reuzzen" (Die Weißen Russen) nannte.

Im deutschen Sprachgebrauch war vor allem im späten 19. und im 20. Jahrhundert der Begriff Ruthenien sehr verbreitet. Das Wort kommt ursprünglich aus dem lateinischen (Ruthenia) und wurde ins Deutsche abgeleitet. Zum ersten Mal wurde dieses Wort auf lateinisch in den "Annales Augustani" (10./12. Jahrhundert) verwendet. Im Deutschen wurde Ruthenien erstmals seit dem 15. Jahrhundert mit den Territorien des heutigen Weißrusslands und der Ukraine korreliert. 

Der polnische Schriftsteller Jan Tscharnkowski (ebenfalls 14. Jahrhundert) erwähnte in seinen Notizen, dass der polnische König Jogaila und seine Mutter "in guodam Castro Albae Russiae Polozk diсto" eingesperrt waren, d.h. "in einem Schloss in der Weißen Rus". Ähnliche Hinweise auf den Begriff Belarus bzw. Weißrussland waren in Briefen von Vytautas (1413-1442) zu finden. Vytautas war ab 1392 Großfürst von Litauen, er gründete zusammen mit seinem Vetter Jogaila die polnisch-litauische Union. Während seiner Herrschaft gelangte das Großfürstentum Litauen zu voller Blüte. In erwähnten Quellen wurde über die Weiße Rus geschrieben wie über etwas allgemein Bekanntes und Verständliches. Daraus erwächst die Vermutung, dass dieser Begriff seit jeher gebräuchlich war. Laut Lamanskij kann man mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der Begriff "Weiße Rus" schon seit der Mitte des 13. Jahrhunderts existiert.

Anfang des 17. Jahrhunderts war der Name in Moskau jedenfalls weit verbreitet. Dort nannte man Einwohner der Weißen Rus "Belorusszy". Das beweisen verschiedene Chartas aus der Zeit. In Moskau hat man den Begriff Weißrussland aus dem Großfürstentum Litauen entlehnt. In Dokumenten des 17. Jahrhunderts kam oft das Wort "Belorusszy" vor. In den Moskauer Urkunden "Otpiski" (1648) waren folgende Phrasen zu lesen: "Litauer und Belorusszy greifen das Königreich nicht an" oder "Belorussez Iwaschko" (ein Eigenname). Folglich waren Belarussen (Belorusszy) schon in dieser Zeit ein eigenes Volk bekannt.

Das Territorium der Weißen Rus war von großer Bedeutung für die russischen Zaren. Nachdem der Zar Aleksej Michajlowitsch (Alexei I., genannt "der Sanftmütigste") 1655 die Stadt Vilno, das heutige Vilnius in Litauen, eingenommen hatte, fügte er seinem Zarentitel den Ehrentitel "Selbstherrscher der Großen, Kleinen und Weißen Rus" bei. Den gleichen Ehrentitel gaben sich seine Söhne Ioan (Iwan V.) und Petr (Peter I., der Grosse), die ihrem Vater auf dem Thron folgten.

Orthodoxe Bischöfe aus Mogilew wurden im 18./19. Jahrhundert als weißrussische Bischöfe tituliert. Während der Herrschaft der Kirchenunion von Brest (1596-1815) wurden alle unierten Bischöfe aus Polotsk sowie der unierte Metropolit ebenfalls als weißrussisch tituliert. Die Kirchenunion von Brest war eine Union zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und den griechisch-orthodoxen Bischöfen des damaligen Ostpolens, deren Ziel es war, sich von Ansprüchen des Moskauer Patriarchats abzugrenzen und die tradierte Lithurgie byzantinischen Ritus beizubehalten.

Im zaristischen Russland trug eines der Dragoner Regimenter den Beinamen "weißrussisch". Das bestätigt, dass der Begriff damals von großer Bedeutung war.

1796 wurde erstmals ein weißrussisches Gouvernement eingerichtet. Das Zentrum war Witebsk, zum Gouvernement gehörten 16 Landkreise (russ. Ujezd).

Seit Ende des 18. Jahrhunderts ist Weißrussland der allgemeingültige Name für alle Territorien, die ethnographisch als weißrussisch gelten. Der Begriff "Belarus" ist eine nationale Eigenbezeichnung, die Ideologen der belarussischen Nationalbewegung (Ende des 19. Jahrhunderts – Anfang des 20. Jahrhunderts) vorgeschlagen haben. 

Das Staatsgebiet erstreckt sich auf die Länder der historischen Weißen Rus (weißrussische Podwinje und Podneprowje), der Schwarzen Rus und Polessje (Gomel und Umgebung). Der moderne weißrussische Staat trägt den offiziellen Namen Republik Belarus.

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