Die Schwarzmeerdeutschen

Deutsche Siedler in Bessarabien, Taurien und auf der Krim

Nach dem der Einfluss des Osmanischen Reiches, nach dem Ende des Russisch-Osmanischen Krieges (1768 bis 1774) beseitigt wurde, konnten die neueroberten Gebiete am Schwarzen Meer durch ein umfassendes Erschließungsprogramm neu besiedelt werden. Unter der Leitung des Fürsten Potjomkin wurde das Gouvernement Neurußland geschaffen.

Als eines der ersten gegründeten Dörfer gilt das heutige Dorf Smijiwka im Südosten der Ukraine. Smijiwka stellt die Vereinigung der bis 1915 unabhängigen Dörfer Schlangendorf, Mühlhausendorf, Klosterdorf und Altschwedendorf dar. Alle vier Dörfer wurden zwischen 1782 und 1804 gegründet. Die Bewohner waren deutscher und schwedischer Herkunft. Zarin Katharina II. führte im Jahr 1781 ehemalige schwedische Leibeigene von der Ostseeinsel Dagö in die öde Steppe des westlichen Dnepr Ufers. In ihrer neuen Heimat sollten sie siedeln, Vieh züchten und Äcker bestellen.

Durch einen Ukas wurde Herzog Richelieu 1803 beauftragt in der Umgebung von Odessa Land zu erwerben und darauf deutsche Kolonien anzulegen. Die umgebende Steppenlandschaft ist eben und waldlos und wird von einigen Flüssen durchschnitten. So ließen sich am Nordufer des Schwarzes Meeres Anfang des 19. Jahrhunderts deutsche Auswanderer nieder.

Das Jahr 1804 wird als Beginn der Schwarzmeerdeutschen angesehen, denn da kam es zur Gründung der ersten deutschen Kolonie Großliebenthal (Welykodolynske) zu beiden Seiten des Flusses Groß-Akerscha. Die Ansiedlung wurde vom Gouverneur, Herzog Richelieu, persönlich geleitet, er soll ihr auch den Namen verliehen haben. Die Ansiedler waren meist Württemberger, aber auch aus Preußen, Baden, dem Rheinland und aus dem Elsass kamen die neuen Siedler. Die Hauptkolonie Großliebenthal entwickelte sich zum geistigen und wirtschaftlichen Zentrum des Gebietes. Insgesamt entstanden hier elf Mutterkolonien, davon sieben evangelische und vier katholische. Man baute eine über die Grenzen hinaus bekannte Zentralschule, eine Mädchenschule, ein Krankenhaus und Waisenhäuser. Einmal im Jahr wurde ein Markt für die umliegenden Dörfer veranstaltet.

Im Jahre 1805 wurde am Flüsschen Klein-Akerscha die katholische Kolonie Kleinliebenthal (Malodolynske) gegründet. Die Menschen dieser Siedlung kamen aus dem Elsass und der bayrischen Pfalz. Im selben Jahr  wurde am Fluss Baraboi die evangelische Kolonie Alexanderhilf (Dobrooleksandrivka) gegründet. Die Neusiedler aus Württemberg, hatten mit großen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen. In den ersten Jahren starb die ganze Kolonie bis auf nur wenige Personen aus. Erst zwischen 1807 bis 1817 wurden die Wirtschaften mit neuen Ankömmlingen besetzt. Eine weitere evangelische Kolonie welche 1805 ins Leben gerufen wurde, hat den Namen Neuburg (Novohradkivka). Ebenfalls gegründet von Einwanderern aus Württemberg, die meistens Handwerker waren und die Landwirtschaft erst noch erlernen mussten. Freudental (Myrne), wurde als letztes der Dörfer im Jahr 1806 gegründet. Die Siedler dieser Kolonie erreichten ihre neue Heimat in zwei Gruppen, alle aus Ungarn kommend. Im Gegensatz zu den früher angekommenen Kolonisten, waren sie wohlhabender und konnten somit besser in ihr neues Leben starten.

Auch Schweizer Auswanderer zog es ostwärts ins russische Zarenreich. Eine der Schweizer Siedlungen ist Zürichtal (Solote Pole) auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim, welche im Jahr 1805 gegründet wurde. Seit Zar Peter dem Großen haben einige Schweizer in Russland ihre Spuren hinterlassen. Vorwiegend als Ingenieure, Kaufleute, Lehrer, Geistliche oder Wissenschaftler machten viele von ihnen eine beachtliche Karriere. Es wanderten aber auch ganze Gruppen verarmter Schweizer in das damalige Russland aus. Sie wollten der wirtschaftlichen Misere in der Heimat entgehen und im Zarenreich als Bauern eine neue Existenz aufbauen. Es waren vor allem Seiden- und Baumwollspinner, Weber und Bauern, die sich zur Auswanderung auf die Halbinsel Krim werben ließen. Sie litten unter der Wirtschaftskrise oder hatten Angst, Kriegsdienste leisten zu müssen.

Die rund 50 Gründerfamilien stammten fast ausschließlich aus der Deutschschweiz, die Mehrheit aus dem Kanton Zürich. Die beschwerliche Reise begann im Spätherbst 1803 unter der Leitung des Hauptwerbers Hans Caspar Escher. Die Fahrt mit Pferdewagen und Schiffen war lang und unterwegs verließ viele Auswanderer der Mut und sie kehrten wieder um in Richtung Heimat. Leider verstarben auch einige Menschen während der langen Reise, unter ihnen vor allem Kinder und Kranke. Im Sommer 1804 erreichten die Auswanderer die Halbinsel Krim. Außer aus dem Kanton Zürich, befanden sich unter ihnen auch Siedler der Kantone Aargau, Bern, Freiburg, Glarus, Graubünden, Luzern, Neuenburg und St. Gallen. Zunächst wurden die Auswanderer unter schlechten Bedingungen in der offenen Steppe angesiedelt, bis sie schließlich in ein bis dahin von Krimtataren bewohntes Dorf umsiedeln konnten. An dieser Stelle entstand am Bach des Indol das Schweizer Dorf, welches den Namen Zürichtal verliehen bekam.

Das neue Leben war anfangs von Schwierigkeiten geprägt. Die Weber und Spinner hatten kaum Erfahrungen in der Landwirtschaft vorzuweisen und die Bauern mussten sich zunächst an die veränderten Klima- und Bodenverhältnisse anpassen. Aber auch Krankheiten und Plagen verschonten das Dorf nicht. So starben dutzende Schweizer Auswanderer bereits in den Anfangsjahren. Nach und nach verbesserte sich allerdings die Situation. Weizenanbau, Viehzucht sowie später auch Obst- und Weinanbau brachten die langersehnten Erfolge. Am Bach entstand eine Mühle. Die Siedlung wuchs Jahr um Jahr und man konnte zusätzliches Land pachten. So wurden aus den einst verarmten ausgewanderten Bauern stolze und wohlhabende Großgrundbesitzer. Viele von ihnen beschäftigten russische Knechte und Mägde. Schon nach kurzer Zeit galt Zürichtal als die wohlhabendste und vornehmste Siedlung unter den deutschen Kolonien auf der Krim. Im Jahr 1820 wurde ein einfaches Gotteshaus gebaut, worauf hin zwei Jahre später der erste Pfarrer aus dem zürcherischen Schwerzenbach nach Zürichtal kam. 1860 wurde in der Mitte der Siedlung eine stattliche Kirche gebaut. Somit wurde Zürichtal zum Sitz der Propstei, das Kirchenspiel umfasste schließlich 36 Bauernkolonien und zudem noch die Städte Staryj Krym, Fedosija und Kerč (Kertsch).

Im selben Jahr wurde sieben Kilometer nordöstlich von Zürichtal, in der Steppe, das Dorf Neu-Zürichtal  (Krasnohvardiiske) gegründet. In der folgenden Zeit entstand eine Vielzahl von Tochterkolonien, als Folge des wirtschaftlichen Wohlergehens und des Bevölkerungswachstums. 314 deutschsprachige Siedlungen gab es am Ende des Ersten Weltkrieges auf der Krim. Im Jahr 1918 lebten in Zürichtal rund 600 Menschen, viele von ihnen waren allerdings nicht mehr direkte Nachkommen von Schweizern, denn im Laufe der Jahre hatten sich auch zahlreiche deutsche Auswanderer, vor allem aus Schwaben in Zürichtal niedergelassen. Aus der Schweiz selbst ist kaum noch jemand gefolgt, was wohl auch an dem Umstand lag, dass Zürichtal vorwiegend von Kolonistendörfern mit Siedlern aus Baden, Württemberg und der Pfalz umgeben war.  Das hatte auch Auswirkungen auf die Sprache. Es entstand ein schwäbisch-schweizerdeutsche Mischmundart. Das Bewusstsein der Herkunft ging immer mehr verloren, alle fühlten sich zusammen mit den Kolonisten der umliegenden Dörfer als Deutsche. So setzte auch konfessionell eine Vereinheitlichung ein. Die Katholiken zogen weg, um eigene Dörfer in der Steppe zu gründen. Die Reformierten Schweizer Kolonisten vereinigten sich mit den Lutheranern.

Mit der zweiten Auswanderungswelle um 1808 aus den deutschen Gebieten Baden und Elsass, gründeten sich die Kolonistenbezirke Glückstal und Kutschurgan. So kam es mit der Zeit und zunehmend mehr Auswanderern zur Entwicklung weiterer Kolonistenbezirke in der Schwarzmeerregion:  Beresan, Kronau, Chortitza, Jekaterinoslaw (heute Dnipro), Prischib, Molotschna, Planer Kolonie, Berdjansk und die Krim Kolonie.

Der Kolonistenbezirk Jekaterinoslaw  war vor allem durch die Mühlenindustrie geprägt. Heinrich Thiessen, ein deutscher mennonitischer Kolonist erbaute im Jahr 1805 die erste Mühle. An einem Tag konnte seine Mühle acht Säcke Mehl produzieren. Später wurden größere Mühlen erbaut, diese konnten 800 bis 1000 Säcke Mehl am Tag herstellen. So entstand unter anderem auch mehrere Tretmühlen, unter ihnen die siebenstöckige Tretmühle von Jakob Fast. Er zog 1844 von Rosental nach Jekaterinoslaw. Im Jahre 1861 erbaute H. Thiessen die erste Dampfmühle. Die Mühlenindustrie brachte der Stadt und Umgebung einen für damalige Zeit frühen ökonomischen Aufschwung.

Aber auch das Handwerk und Gewerbe spielten eine immer wichtigere Rolle im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung. In einigen Siedlungen, so auch rund um Jekaterinoslaw, vollzog sich eine regelrechte Industrialisierung. Zu den bereits vorhandenen Handwerks- und Mühlenbetrieben gesellten sich große Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte. Durch den raschen Aufstieg wurden immer mehr Siedler aus umliegenden Kolonien angezogen. So kamen noch mehr Siedler, unter ihnen zahlreiche Mennoniten nach Jekaterinoslaw. Im Jahr 1851 wurde die erste mennonitische Schule erbaut, in dieser fanden auch Gottesdienste statt. Durch den stetigen Zuwachs der mennonitischen Bevölkerung musste die Schule erweitert werden und es unterrichteten bald drei Lehrer. So trugen die deutschen Kolonisten im Wesentlichen dazu bei, dass sich die Schwarzmeerregion, vor allem aber das heutige Dnipropetrowsk in dieser Zeit zu einem wichtigen Zentrum der russischen Landmaschinenindustrie entwickeln konnte.

Eine Besonderheit stellt die zwischen 1828 und 1830 gegründete Schafzuchtkolonie Askania-Nova (Askania-Nowa) dar. Diese wurde während der Regierungszeit Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen etwa 100 km nördlich der ukrainischen Halbinsel Krim errichtet. Anhalt war Ende des 18. Jahrhunderts eines der führenden Länder in der Wolleproduktion. Allerdings waren die Ländereien bald ausgereizt, sodass der Herzog von Anhalt-Köthen die Kolonie gründete, um eben dort Schafzucht zu betreiben und damit auch die einheimische Wirtschaft zu stärken. Durch einen Erlass des Zaren wurden Besitzungen an den Herzog Ferdinand übertragen. Nach dessen Tod übernahm sein Bruder Heinrich die Regierungsgeschäfte. Er führte die Kolonie im Sinne seines Bruders fort.

Die teils freiwilligen, teils verpflichteten Siedler wurden im Jahr 1828 mit 600 Schafen nach Askania Nova geschickt. Neben den Schafzüchtern kamen auch Handwerker in die neuen Gebiete, sie versprachen sich in der Ferne ein besseres Leben. Leider hatten alle von Anfang an mit den schwierigen Bedingungen der Steppe zu kämpfen, vor allem die sehr kalten Winter und extrem trockenen Sommer erschwerte ihnen das Leben und Arbeiten. Dennoch gelang es den Siedlern Wege anzulegen, Häuser zu errichten sowie Brunnen zu graben. Diese waren besonders wichtig für die Wasserversorgung. Durch einen Tiefbrunnen sowie 15 Flachbrunnen konnte die Versorgung mit Wasser vor allem in den heißen Sommermonaten gewährleistet werden. Die Gebäude wurden in der typischen Ziegelbauweise nach den Plänen eines Köthener Architekten errichtet. Neben den Wohnhäusern wurden ein Verwalterhaus, Ställe, eine Schule sowie ein Bethaus errichtet. Die erbaute Schule war weit und breit die einzige Bildungseinrichtung und daher auch in der Nachbarschaft sehr begehrt.

Die Neusiedler passten sich immer mehr dem rauen Klima an. Dies zeigt auch die positive Entwicklung der Bevölkerungszahlen deutlich. Im Jahr 1836 lebten bereits 268 Personen in der Kolonie und versorgten 21.750 Schafe. Das Hauptgeschäft der Kolonisten lag in der Schafzucht und im Verkauf der Wolle. Die hohen Investitionen in den Aufbau des Gutes schienen sich zunächst auszuzahlen. Seitens der russischen Krone fielen fast keine Steuern an, da die Neuansiedler große Privilegien genossen. Dennoch machten sich nach einiger Zeit Probleme bemerkbar. Es gab natürliche Schwierigkeiten, wie den Wassermangel oder die große Entfernung des Gutes zum Dnjepr, wo die Schafe vor der Schur gewaschen werden mussten. Aber auch personelle Probleme blieben nicht aus, denn alle Angestellten waren Zugereiste und kannten sich in der Steppenwirtschaft nicht aus. Außerdem fehlte es an einem Generalplan, der die Entwicklung des Gutes auf längere Sicht vorgab.

Nach dem Tod Heinrichs wurde die Kolonie 1856 an den aus Sachsen stammenden Kolonisten Friedrich Fein verkauft. Askania Nova und die angrenzenden Gebiete verfügten über 49.000 Schafe, 640 Pferde und 549 Rinder. Nach der Hochzeit von Feins Tochter Elisabeth Anna mit Johann Gottlieb Pfalz, bekam die Familie vom Zaren die Erlaubnis den Namen Falz-Fein zu tragen. Ihr späterer Enkel Friedrich Falz-Fein begnügte sich nicht mehr mit der Schafs- und Pferdezucht. Er legte stattdessen im Jahr 1887 ein Naturschutzgebiet mit einem botanischen Garten sowie einem bis heute berühmten Steppentierpark an. Im Jahr 1914 lebten noch immer 500.000 Schafe in der Askania Nova und dazu 58 Säugetier-und zahlreiche Vogelarten. Im Zuge der Revolution und Bürgerkrieg musste die Familie Falz-Fein Russland verlassen. Ihr Gut Askania Nova wurde stark verwüstet. Nach der russischen Oktoberrevolution und der Enteignung der Länderrein, wurde das gesamte Gebiet 1921 zum staatlichen Naturschutzgebiet der Ukraine ernannt. 1984 erfolgte die Aufnahme in das weltweite Programm zum Schutz der Biosphärenreservate der UNESCO. So beherbergt das einstmals deutsche Gebiet bis heute zahlreiche exotische Tiere, wie beispielsweise Elenantilopen, Bisons oder Zebras.

Die deutschen Siedler der Schwarzmeerregion gehörten verschiedenster Glaubensrichtungen an. So kamen Katholiken, Protestanten und Mennoniten in den Schwarzmeerbogen. Das Gemeindeleben in den Siedlungen baute auf den religiösen Grundsätzen auf. Es wurden soziale und karitative Einrichtungen ins Leben gerufen, wie zum Beispiel Waisenhäuser, Altersheime und Krankenhäuser. Die relativ großen Kirchenbauten wurden zu Landmarken in der öden Steppenlandschaft. Früh widmete man sich dem Ausbau eines flächendeckenden, strukturierten Bildungswesens. In Odessa hat die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine ihren Hauptsitz. Hier errichtete man die St.-Pauls-Kirche, mit Platz für 1.200 Gläubige. Auch das Bild der deutschen Dörfer wird durch repräsentative protestantische Kirchenbauten geprägt.

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Deutsche Mennoniten in der Schwarzmeerregion

Als Russlandmennoniten werden die Nachkommen jener Mennoniten bezeichnet, die seit Ende des 18. Jahrhunderts vornehmlich aus dem westpreußischen Weichseldelta nach Südrußland, in das Gebiet der heutigen Ukraine auswanderten. Auf Einladung Katherina II. beziehungsweise Paul I. wanderten tausende Mennoniten in das Land ein. Die neuen Siedler niederländischer-niederdeutscher Herkunft, versehen mit Privilegien sollten die von den Türken zurück eroberten Landstriche urbanisieren. Im Laufe der Jahrzehnte gründeten die Mennoniten in ihrer neuen Heimat zwei große Mutterkolonien: die Chortizaer Ansiedlung und die Molotschnaer Ansiedlung. Aufgrund von Überbevölkerung gründeten sich später weitere Tochterkolonien, unter anderem auf der Halbinsel Krim.
 

Die mennonitische Kolonie Chortitza (Chortyzja)

Im Jahr 1788 machten sich etwa 1.000 preußische Mennoniten aus Danzig auf den Weg in die von den russischen Behörden zugewiesenen Ländereien nahe dem Schwarzen Meer. Das zukünftige Siedlungsgebiet lag in der Nähe der heutigen Stadt Saporischschja. Zuvor waren mennonitische Delegierte auf Erkundungstour gegangen, um die Landgüter zu besichtigen, aber auch, um mit der russischen Regierung günstige Ansiedlungsbedingungen auszuhandeln. Die zwei wichtigsten Punkte, die es auszuhandeln galt, waren die Garantie der unbeschränkten religiösen Freiheit sowie das Recht auf eine eigene Selbstverwaltung.

Ausgewandert aus der Weichsel-Niederung sind die Familien auf Grund von Einschränkungen beim Erwerb von Land, wodurch das natürliche Wachstum der preußischen Mennoniten-Siedlungen eingeschränkt werden sollte. Dies sorgte unter den Bewohnern natürlich für große Unruhen. Aber auch die russischen Werbemaßnahmen in und um Danzig, die Bestandteil einer umfassenden Regierungskampagne zur Besiedlung der während der russischen Kriege gegen das Osmanische Reich zurückeroberten Gebiete war, verfehlten ihre Wirkung nicht. So verwundert es nicht, dass gleich acht Dörfer von den Mennoniten gegründet wurden. Aber auch zahlreiche andere deutschsprachige Siedler, wie die preußischen Lutheraner, ließen sich nahezu zeitgleich in der Region nieder.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten, welche besonders durch das ungewohnte Klima auftraten, gelang der Kolonie ein allmählicher wirtschaftlicher Aufstieg, wobei einige Faktoren die wirtschaftliche Entwicklung begünstigten. Dazu zählen beispielsweise die materiellen und finanziellen Unterstützungen seitens der russischen Behörden, denn sie hatten ein großes Interesse an der landwirtschaftlichen Erschließung der Gebiete. Darüber hinaus wirkte sich insbesondere das Recht auf eine eigene Selbstverwaltung überaus günstig aus. Auch die bis ins 19. Jahrhundert andauernden Nachwanderungen aus Westpreußen stärkte die Anzahl der Mennoniten.

Anfänglich versuchten sich die Neusiedler im Getreideanbau sowie der Schafzucht. Nebenher betrieb man Wollspinnereien, Webereien und im geringeren Maße auch Handwerk. Dadurch ließen sich erste wirtschaftliche Kontakte schließen. Ab den 1830er Jahren ist ein zunehmendes Engagement im Weinanbau und in der Seidenindustrie zu bemerken. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von schneller Expansion der Industrieproduktion. Aus den anfänglich kleinen Handwerksbetrieben haben sich größere Industriebetriebe entwickelt. So erlangte der Landmaschinenbau überregionale Bedeutung.

Das Dorf Chortitza, welches zum Hauptort der Kolonie heranwuchs, entwickelte sich zudem zum Verwaltungs- und Industriezentrum mit einer eigenen Bahnstation. Dennoch war die erste Kolonie der Mennoniten der sich in wirtschaftlicher Hinsicht noch dynamischer entwickelnden Mennoniten-Kolonie an der Molotschna weit unterlegen. Im Jahr 1910 hatte die Kolonie Chortitza etwa 12.000 Einwohner. Der wachsende Bevölkerungsdruck führte zur Gründung einiger Tochterkolonien im Umland.

Die ab 1870 einsetzende Russifizierungspolitik beeinflusste vor allem das Schulwesen und die Kommunalverwaltung. Mit dem Ausbruch des russischen Bürgerkrieges geriet die Kolonie immer mehr zwischen die Fronten. Die Folgen waren Überfälle, Hungersnöte, Seuchen und die Flucht ins Ausland, bis hin zu einem völligen Verfall der wirtschaftlichen Leistungskraft. Die endgültige Enteignung geschah allerdings erst mit dem Sieg der Bolschewisten und der nach 1922 beförderten sowjetischen Industrialisierungs- und Kollektivierungspolitik. Durch das Absinken des mennonitischen Bevölkerungsanteils durch Tod, Verbannungen und massenhafte Auswanderung nach Kanada entwickelte sich die ehemals blühende Kolonie zu einer multiethnischen Industrieagglomeration nach sowjetischem Muster.

Aber erst der Zweite Weltkrieg führte zur endgültigen Vertreibung der noch verbliebenen mennonitischen Bevölkerung. Die im Jahr 1941 von den sowjetischen Behörden beabsichtige Deportation der deutschen Bevölkerung nach Sibirien und Mittelasien gelang nur zum Teil, denn etwa 10.000 Mennoniten wurden von der vorrückenden Wehrmacht überrollt. Sie zogen mit der Wehrmacht ab 1943 mehr oder weniger freiwillig nach Westen. Viele von ihnen waren zur Ansiedlung im sogenannten Warthegau vorgesehen, allerdings wurden sie 1945 von den sowjetischen Besatzungstruppen aus Deutschland wieder in den Osten deportiert und mussten Zwangsarbeit verrichten. Nur wenige entgingen diesem Schicksal durch Flucht in die westlichen Besatzungszonen, sowie nach Kanada oder Südamerika.
 

Die mennonitische Kolonie Molotschna

Zwischen den Jahren 1803 bis 1805 wanderten 342 westpreußische Mennoniten-Familien an den Fluss Molotschna, nahe dem Asowschen Meer ein. Diese Kolonie entwickelte sich bis zum Ersten Weltkrieg zur größten und wirtschaftlich bedeutendsten mennonitischen Kolonie Russlands. Ebenso wie die 15 Jahre zuvor ausgewanderten Mennoniten nach Chortitza, unterschieden sich die Motivationen zur Auswanderung zunächst nur wenig. Sie versuchten ebenfalls den preußischen Behörden zu entgegen. Die versprochenen Privilegien der Zaren spielten hier natürlich auch eine wichtige Rolle, dennoch gab es zwischen den beiden Gruppen, weitreichende sozio-ökonomische Unterschiede. Die zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingewanderten Mennoniten-Familien waren wohlhabender als ihre Vorgänger. Sie besaßen somit gänzlich andere Startbedingungen bei der Kolonialisierung.

Ihre Wirtschaft entwickelte sich von Anfang an besser, als in Chortitza. Dies lag unter anderem auch an den von den Siedlern mitgeführten Nutztieren wie den Merino-Schafen, Zuchtpferden und Rindern. Desweiteren nutzen sie bereits bessere Anbaumethoden in der Landwirtschaft. Auch die Einrichtung von Sozial-und Bildungseinrichtungen wurde als fortschrittlich angesehen. In den 1860er Jahren stellte sich dieser Kolonie ebenfalls zunehmend das Problem der Überbevölkerung. Durch Erweiterungen der Siedlung, Gründungen eigener Tochterkolonien, zum Beispiel auf der Halbinsel Krim sowie durch das Abwandern nach Nordamerika, konnte dem Problem teilweise Abhilfe geschaffen werden. Bis zum Ersten Weltkrieg lebten etwa 20.000 Menschen in der Kolonie Molotschna.

Allerdings setzten auch in dieser Kolonie nach und nach Bemühungen seitens der russischen Behörden ein, eine möglichst vollständige Russifizierung des mennonitischen Schulwesens durchzuführen. Die völlige Enteignung fand erst unter den Bolschewiki statt. Die Kollektivierung des privaten und kommunalen Besitzes der Mennoniten machte aus den einst blühenden Landgütern und wirtschaftlich starken Fabriken bald sowjetische Staatsbetriebe, die zahlreiche russische und ukrainische Arbeiter anzogen. Während des Zweiten Weltkrieges ereilte die Mennoniten in Molotschna das gleiche Schicksal wie in Chortitza. Sie wurden verschleppt oder zur Zwangsarbeit hinter den Ural gebracht, einigen gelang jedoch die Ausreise nach Nord-und Südamerika. Heute leben nur noch wenige Mennoniten in der einstmals größten mennonitischen Kolonie der heutigen Ukraine.
 

Russlandmennoniten auf der Krim

Während des Jahres 1862 begann die Gründung von russlandmennonitischen Tochterkolonien auf der Halbinsel Krim. Grund dafür waren die damaligen sozialen Verhältnisse in der Mennoniten Kolonie Molotschna. Dort litt man stark unter der Überbevölkerung des Gebietes, da es seit Jahren an günstigen landwirtschaftlichen Nutzflächen mangelte. Somit suchte eine wachsende Zahl junger, landloser Familien händeringend nach möglichen Pachtländereien in der Umgebung. Während des Krimkrieges zwischen 1853 bis 1856 waren Molotschna-Mennoniten zu regelmäßigen Diensten für russische Truppen auf der Krim eingesetzt, dabei kamen sie zum ersten Mal mit den Gebieten auf der Krim in Kontakt und konnten sich Kenntnisse über die Entwicklungsmöglichkeiten der Umgebung einholen. 

Nach Ende des Krimkrieges waren weite Teile der Insel verwüstet und verlassen, dennoch entschlossen sich einige landlose Mennoniten-Familien sich auf der Krim niederzulassen. Im Gegensatz zu anderen Koloniegründungen in Russland erfolgte der mennonitische Zug auf die Krim wenig planvoll. Die neuen Dörfer und Höfe entstanden oft weit verstreut, entlang wichtiger Verkehrsachsen in verschiedenen Regionen der Krim. Dennoch lässt sich feststellen, dass es vier Verwaltungsbezirke gab, in denen sich die mennonitischen Kolonien hauptsächlich niederließen: Dshankoj, Simferopol, Jewpatorija und Feodosija.

Wie ihre russischen, krimdeutschen und krimtatarischen Nachbarn betrieben die Neusiedler vorwiegend Ackerbau und Viehzucht sowie intensiven Obstanbau. Durch die relativ günstigen Landpreise, konnten einige Siedler des mittleren Standes größere Landstücke direkt von deutschen Gutsbesitzern erwerben. Neben Lutheranern und Katholiken meist südwestdeutscher Herkunft, zu denen man neben wirtschaftlichen Kontakten auch freundschaftliche Beziehungen pflegte, lebten auf der Halbinsel Bauern schweizerdeutscher Abstammung. Trotz ihrer verhältnismäßig großen Zahl war die deutschsprachige Bevölkerung nur eine wirtschaftlich starke Minderheit auf der Krim.

Die größten und wichtigsten mennonitischen Siedlungen entstanden ab 1865 in Karasan (im heutigen Bezirk Krasnogwardejsk) sowie ab 1881/82 in Spat (im heutigen Bezirk Simferopol). Während die kleineren verstreut liegenden Dörfer der Mennoniten eher landwirtschaftlich geprägt blieben, entwickelten sich die Siedlungen bis zum Ersten Weltkrieg zu wichtigen lokalen Zentren für Industrie, Gewerbe und Handel. So siedelten sich kleinere Industrie- und Handwerksbetriebe an, wie beispielsweise Dampfmühlen, Ziegeleien oder Textilfabriken. Nebenher erlangten die Siedlungen auch eine gewisse kulturelle Bedeutung. So etablierten sich in Karasan und Spat ab 1905 zwei Zentralschulen und zudem noch eine Mädchenschule.

Nach dem Sieg der Bolschewisten begann der allmähliche Niedergang der mennonitischen Kultur auf der Krim. Es kam zur Verstaatlichung sämtlicher Höfe und Betriebe, zur Russifizierung des Schulwesens sowie zu einer schrittweisen Auflösung des Gemeindelebens. Von den Verfolgungen religiöser und nationaler Minderheiten wurden zum Teil auch die Mennoniten erfasst. Die Nachfahren der Mennoniten welche auf der Krim lebten, haben ihre neue Heimat in Deutschland oder Kanada gefunden.

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