Die Ukraine im Ersten Weltkrieg. Zwischen den Weltkriegen. Der 2. Weltkrieg in der Sowjetukraine

Geschichte der Ukraine

Anfang des 20. Jahrhunderts stoßen die imperialistischen Reiche an die Grenzen ihrer Ausdehnungsmöglichkeiten. Alle Kontinente und Ländereien sind besiedelt, kolonialisiert, unterworfen. Wer sich jetzt noch weiter ausdehnen will, muss einen anderen Staat oder Teile fremder Territorien erobern.

Gegen Angriffe solcher Art hatten sich die Imperialreiche durch ein kompliziertes Geflecht von Nichtangriffs- und Beistandsabkommen untereinander abgesichert. Das Deutsche Reich hatte sich mit Österreich-Ungarn zum Zweibund zusammengeschlossen und daneben ähnliche Verträge mit Italien, Rumänien, Bulgarien und der Türkei. Demgegenüber hatte sich Frankreich mit Russland und Großbritannien (welches wiederum mit Japan und den Vereinigten Staaten Allianzen geschlossen hatte) verbunden.

Der Erste Weltkrieg

Dieses System aus Bündnissen war so kompliziert und fragil, dass der kleinste Zwischenfall dieses Kartenhaus zum Einsturz bringen und den Beistandsfall auslösen könnte. Dieser Fall trat mit dem tödlichen Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz-Ferdinand am 28. Juni 1914 ein, in dessen Folge Österreich-Ungarn einen Angriff auf Serbien startete, welches eine Beistandsgarantie Russlands besaß. Durch diese vermeintlich regionale Militäraktion wurden alle Staaten- Bündnisse aktiviert und die Völker in den größten Krieg bis zu dieser Zeit, den ersten Weltkrieg, gezogen.

Die Ukrainer leben zu diesem Zeitpunkt in zwei Staaten. Ein Teil gehört zu Österreich- Ungarn, der andere zum Russischen Reich. So stehen sich an der Front Ukrainer auf beiden Seiten gegenüber. In der Hoffnung, von der siegreichen Partei ein Territorium für einen eigenen Nationalstaat zu erhalten, kämpfen "Kleinrussen" auf der russischen Seite gegen ruthenische Sič-Schützen in den Reihen der k.u.k.-Monarchie.

Die Ermordung des russischen Zaren 1917 und der anschließende Machtkampf stürzen das ehemalige russische Reich ein anarchisches Chaos. Dieses Chaos gibt den Ukrainern Gelegenheit für die Gründung des ersten ukrainischen Nationalstaates, der "Ukrainischen Volksrepublik" (UNR), die 1918 ihre Unabhängigkeit vom russischen Reich erklärt. Da die Bolschewiken prompt Truppen in die Ukraine entsenden, wendet sich die Ukraine an die westlichen Mächte mit der Bitte um Frieden und Militärhilfe gegen die Bolschewiken, die in Gestalt deutscher und österreichischer Truppen auch geleistet wird. In den Friedensverhandlungen der Mittelmächte mit der Sowjetregierung in Brest- Litowsk verpflichten sich die Russen, ihre Truppen aus der Ukraine abzuziehen. So entsteht eine unabhängige Ukraine, die jedoch von den Garantiemächten Deutschland und Österreich-Ungarn besetzt und verwaltet wird.

Als die beiden Garantiemächte ab Oktober 1918 zusammenbrechen, werden die politischen und militärischen Karten in der Ukraine neu gemischt. Der Vertrag von Brest- Litowsk ist nicht mehr gültig und die sowjetischen Truppen marschieren erneut auf Kiew, die Hauptstadt der Ukraine. Aus dem Westen meldet Polen territoriale Ansprüche an, die abgewehrt werden müssen. Unzählige "Ukrainen" entstehen und vergehen in dieser Zeit, manche nach Tagen, manche erst nach Monaten. Zeitweise muss sich die Ukraine an drei Fronten gleichzeitig wehren, denn die Alliierten (Frankreich, Griechenland, Rumänien) intervenieren im Süden am Schwarzen Meer, um die "Weißen" Armeen zu unterstützen, die für ein bürgerliches Russland gegen die Bolschewiken kämpfen.

Am Ende kämpfen auf dem heute ukrainischen Territorium Polen und Sowjets erbittert um die Vorherrschaft. Die Ukrainer hoffen auf den Staatserhalt durch Kollaboration mit den Besetzern. 1920 teilen dann Polen und die Sowjetunion in einem Friedensvertrag die Ukraine untereinander auf. Der souveräne ukrainische Staat gehört der Vergangenheit an. Was bleibt, ist die "Ukrainische Sowjetrepublik" als Teil der Sowjetunion, zwar kein souveräner Staat, aber durch die Namensgebung sichtbarer Beweis für die Existenz einer ukrainischen Nation.

Zwischen den Weltkriegen

Für einen kleinen ukrainischen Teil, die Karpatho-Ukraine, folgt eine Zeit der Prosperität und innerer Beruhigung. Sie wird aus der Insolvenzmasse der k.u.k.-Monarchie der neu entstandenen Tschechoslowakei zugeschlagen und erlebt bis zum 2. Weltkrieg eine Dekade der bürgerlichen Entwicklung und des Aufschwungs. Die Regierung in Prag fördert die Entwicklung des rückständigen Gebiets in die Karpaten. So entstehen ukrainische Schulen, Parteien werden gegründet. Mit dem Münchener Vertrag wird die Tschechoslowakei 1938 von der Landkarte gewischt. Die Karpatenukraine wird von Ungarn annektiert und besetzt, was sich erst mit der Befreiung des Gebiets 1944 durch die Sowjetunion ändern wird.

Im neu entstandenen polnischen Staat stellten die Ukrainer die größte Minderheitengruppe und hatten gute Möglichkeiten, ukrainisches Kulturgut zu pflegen und politisch aktiv zu werden. So konnten Kultur- und Volksbildungsvereine wie "Prosvita" (Aufklärung) und "Ridna Skola" (Heimatschule) ein weites Netz der unteren und mittleren Bildung über das Land aufbauen. Ukrainische Parteien vertraten die Interessen der Ukrainer im polnischen Parlament Sejm. Allerdings waren auch die Polen bestrebt, die Verwaltung des neu erhaltenen Staatsgebietes weitgehend in polnische Hände zu legen und die katholische Kirche als dominante Religion durchzusetzen. Ein weiterer Hemmschuh für die Entwicklung der Westukraine bestand im agrarischen Charakter der Wirtschaft, der das Wachstum und einen steigenden Wohlstand der Ukrainer verhinderte. Als Folge des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakts besetzte die Sowjetunion 1939 auch die ostpolnischen Gebiete Galizien und Wolhynien, die dann der ukrainischen Sowjetrepublik einverleibt wurden.

Wesentlich schlechtere Chancen, ihre ukrainische Identität zu bewahren, hatten die Ukrainer in den an Rumänien abgegebenen Gebieten – der Bukowina und Bessarabien. Die rigide Minderheitenpolitik Bukarests zielte auf die vollständige Eingliederung der Bewohner der zugewonnenen Gebiete in die rumänische Nation. So wurden ukrainische Schulen geschlossen oder rumänisiert und Rumänisch als Amtssprache verordnet. Czernowitz wird zu "Chernauti". Ukrainische Zeitungen und Organisationen wurden verboten.

Im sowjetischen Teil, der ukrainischen Sowjetrepublik, versuchten die Bolschewiki, die Landwirtschaft schnellstmöglich auf ihre Bedürfnisse einzurichten. Gleich nach der Machtergreifung zogen Requirierungskommandos durch die Dörfer und nahmen den Bauern alles, dessen sie habhaft werden konnten. Revolten der Bauern waren das Ergebnis, Äcker blieben unbestellt, Missernten folgten und Hunderttausende Menschen starben in den Hungersnöten der darauffolgenden Jahre. Erst als die Bolschewiki ihren harten Kurs aufgeben und den Bauern ihre Ernte zum Leben und Handeln lassen, bessert sich die Lage.

Um die Bewohner der neu erworbenen Gebiete gefügig zu machen, gesteht die sowjetische Führung ihnen einen Teil kultureller Eigenständigkeit zu, besonders bei der Pflege der eigenen Sprache. Das führt Mitte der 1920er Jahre in der Sowjetukraine zu einer Aufwertung der (noch in den Kinderschuhen steckenden) ukrainischen Sprache. Erstmals erschienen ukrainische Rechtschreibvorschriften, in Wirtschaft und Gesellschaft wurde die Kommunikation in ukrainischer Sprache gefördert. In Schulen und Universitäten sprach man ukrainisch. Durch die schrittweise Kollektivierung in der Landwirtschaft und die Industrialisierung wurde die ukrainische Sprache bis in die einfachsten Bevölkerungsgruppen getragen und der Anteil der ukrainisch- sprachigen Bewohner stieg an, insbesondere in den östlichen Gebieten und bei den anderen nationalen Minderheiten der ukrainischen Sowjetrepublik, die daneben auch ihr eigenes Kulturgut pflegen konnten.

Damit ist Anfang der 1930er Jahre Schluss. Die Sowjetunion hat alle Wirtschafts- und Verwaltungskompetenzen von den Sowjetrepubliken abgezogen, Stalin hat die Macht übernommen und fängt an, "Feinde" in den eigenen Reihen auszumachen. Dazu gehört natürlich auch der Nationalismus der Teilrepubliken, welcher der großen sowjetischen Idee schadet. Und so wird der ukrainischen Kultur aufs Neue der Kampf angesagt. Schulen stellen die Unterrichtssprache auf Russisch um, das öffentliche Leben spricht russisch, Partei- und Wirtschaftsführer, Künstler, Wissenschaftler, die früher ukrainisch propagierten, werden abberufen oder widerrufen sich selbst. Die großen Säuberungen mit Deportationen, Verbannungen und Erschießungen beginnen und dezimieren die Reihen der ukrainischen Intelligenz, die anschließend mit russischen Nachfolgern aufgefüllt werden. Die Kirchen werden geschlossen, ausgeraubt, für entweihende Zwecke verwendet oder verfallen. In der Ostukraine, die zum industriellen Zentrum heranwächst, werden verstärkt Arbeiter und Ingenieure aus Russland angesiedelt, die ihre russische Sprache und Kultur mitbringen und das Ukrainische verwässern. Dazu kommt der unvorstellbare Terror gegen die Bauern für Kollektivierung und Verstaatlichung des Agrarsektors, der zu einer Hungerkatastrophe (Holodomor) unvorstellbaren Ausmaßes führt.

In den Gebieten, die durch Verträge und Annektierung zum sowjetischen Staat hinzukommen, beginnt unmittelbar nach der Besetzung der gleiche Kreis aus Verhaftung, Deportation, Erschießung der führenden Köpfe und Zwangskollektivierung.

Der große Terror dauert bis zum Beginn der 1940er Jahre. Er bringt unendliches Leid über Millionen Familien und beraubt das Land seiner fähigsten Köpfe. Dann sitzt Stalin fest im Sattel der Macht, gestützt auf einen leistungsfähigen Apparat gleichgeschalteter und oft inkompetenter Bürokraten (Apparatschiks). Davon hat sich die Ukraine bis heute nicht erholt und es gibt große Schwierigkeiten, die Mentalität aus Obrigkeitshörigkeit, Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit aus dem Denken der Menschen zu verbannen.

Umfangreiche Zwangsumsiedlungen Deutscher und Polen 1936-1940 aus der Ukraine nach Kasachstan finden statt, um eventuelle Unterstützer der Nazis aus der zukünftigen Kampfzone zu entfernen. Denn eines weiß Stalin genau: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Deutschen, die schon wieder Frankreich, die Beneluxländer und halb Mitteleuropa besetzt haben, die Sowjetunion angreifen.

Der Zweite Weltkrieg

Am 22. Juni 1941 überschreiten deutsche Truppen den Grenzfluss Bug und versuchen, das Land in rasendem Tempo und unter Einsatz unvorstellbarer Brutalität zu überrollen. Hitler hat die Illusion, dass ihm die Sowjetunion gehört, sobald er Moskau erobert hat und das soll bis zum Anbruch des gefürchteten russischen Winters geschehen (sh. Unternehmen Barbarossa). Im September fällt Kiew, im Oktober Odessa in die Hand der Deutschen; erbittert wehrt sich Sewastopol und wird von den Deutschen monatelang belagert. Ende 1941 sind das Gebiet der ukrainischen Sowjetrepublik und die Krim komplett in der Hand der Nazis. Mehrere Millionen Menschen haben schon ihr Leben verloren. Allein: Moskau ist nicht gefallen und die Deutschen verzehren sich von nun an in einem zermürbenden Stellungskrieg, der ihnen zum Verhängnis wird.

Die Ukraine wird im zweiten Weltkrieg wie kein anderer Teil der Sowjetunion zerstört und ausgeraubt. Millionen ukrainischer Juden werden im Holocaust systematisch ermordet. Züge voll ukrainischer Zwangsarbeiter (etwa 2 Millionen) werden nach Deutschland deportiert und müssen dort unter menschenunwürdigen Bedingungen Sklavenarbeit verrichten. Die in der Ukraine verbleibende Bevölkerung muss unter Zwang und im Akkord Weizen und Gemüse für die deutschen Truppen anbauen und weiteres Kriegsgerät herstellen. Sie wird mit Lebensmittelrationen nur gerade am Leben erhalten (mitunter nicht einmal das). Systematisch werden Kirchen und Museen ausgeraubt und bedeutende Kulturschätze gehen für immer verloren. Parteifunktionäre und Partisanen werden erbarmungslos umgebracht. Wer Widerstand leistet, bezahlt mit seinem Leben, dem seiner Familie, seines Dorfes… Dabei kommen auch die Angehörigen der SS- Division "Galizien" zum Einsatz, die sich aus ukrainischen Freiwilligen rekrutiert.

Was 1941 beim Einmarsch der Deutschen in der Ukraine nicht zerstört wurde, fällt dem Rückzug der Deutschen 1944 mit ihrer berüchtigten "Politik der verbrannten Erde" zum Opfer. Dazu werden in den Dörfern Mensch und Vieh in das größte Haus des Dorfes getrieben, eingeschlossen und das Haus angezündet. Der "Schienenwolf" kommt zum Einsatz und vernichtet den größten Teils des ukrainischen Schienennetzes, um die sowjetischen Truppen am Vormarsch zu hindern. Brücken und Fabriken werden gesprengt - alles, was der Sowjetunion nach dem Krieg irgendwie von Nutzen sein könnte, wird eliminiert.

Nach dem Krieg sind viereinhalb Millionen Ukrainer getötet, mehr als zwei Millionen verschleppt, zehn Millionen obdachlos, Tausende Dörfer und hunderte Städte zerstört. Auf jedes im Krieg zerstörte französische Dorf kommen 250 in der Ukraine.

Von Sewastopol, der belagerten Festungsstadt auf der Krim, stehen noch ganze neun Häuser unversehrt. Beim Anblick der Stadt bemerkte Winston Churchill erschüttert, dass diese Stadt selbst in fünfzig Jahren nicht wieder aufgebaut wäre.
Ukrainische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter kehren nach und nach in ihre Heimat zurück und durchlaufen hier einen entwürdigenden und unfairen Prozess durch das NKWD, welches unter ihnen Kollaborateure und Vaterlandsverräter dingfest machen will. Im Ergebnis des "Filtrierungsverfahrens" werden Hunderttausende nach Sibirien verbannt oder verschwinden auf Jahre in sowjetischen Gefängnissen.

Umsiedlung und Vertreibung

Als die Deutschen 1945 endlich besiegt sind, werden die Grenzen in Europa neu gezogen und damit beginnt eine gigantische Welle aus Zwangsumsiedlungen und Vertreibung, von denen besonders die Ukraine betroffen ist. Schon 1944 werden die Krimtataren nach Kasachstan deportiert, da Sie (zu Unrecht) der Kollaboration mit den Deutschen beschuldigt werden. Gewaltige Bevölkerungsaustausche finden mit Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei statt. Die überlebenden Juden siedeln ins frisch gegründete Israel oder nach Amerika aus. Um die innere Sicherheit in Gebieten mit nationalen Minderheiten zu erhöhen, werden diese tief ins sowjetische Herzland umgesiedelt, für sie kommen Sowjetbürger aus dem russischen Teil in die Ukraine. Damit werden Millionen Menschen komplett entwurzelt.
Am Ende zielt die gesamte Umsiedlungspolitik der Sowjets auf eine nationale Gleichschaltung aller sowjetischen Volksgruppen zugunsten des Russischen. Sie ist der entscheidende Grund für den Zusammenbruch der multikulturellen Bevölkerungsstruktur eines großen Teils der Ukraine und wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum Katalysator für die verheerenden, opferreichen Kämpfe in der Ostukraine.

Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (UNO)

Nach dem zweiten Weltkrieg sind sich die Häupter der größten Länder der Welt einig, dass es eine neue Form der Verständigung zwischen den Völkern geben muß, um solche Katastrophen wie den zweiten Weltkrieg zu verhindern. Als Ergebnis wird die Organisation der Vereinten Nationen (UNO) gegründet. Als eines der Gründungsmitglieder zeichnet die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik den Vertrag. Diese Unterschrift soll ihr einige Zeit später, 1991, den Weg in die Unabhängigkeit erleichtern.

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