Halbmond am Schwarzen Meer. Islam in der Ukraine. Muslime auf der Krim

Religionen in der Ukraine

Wann die ersten Muslime in die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres und auf die Krim gelangten, lässt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Doch gab es schon zahlreiche Anhänger der Lehre Mohammeds unter den Chasaren, einem Turkvolk, das bis zur Vernichtung ihres Reiches im 10. Jahrhundert ein gefährlicher Gegner der Rus war.

Entscheidend aber sollte das Vordringen der Mongolen sein. 1240 eroberten sie Kiew und in den folgenden Jahrzehnten entstand die Goldene Horde, ein Herrschaftsgebilde, dessen Macht sich von Südosteuropa bis nach Zentralasien erstreckte. Was von der einst stolzen Kiewer Rus geblieben war schickte nun seine Tribute nach Sarai im Wolgadelta, einer Stadt, die Batu, Enkel des großen Dschingis Khan, 1242 gegründet hatte.

Dort gelangte 1257 dessen jüngerer Halbruder Berke Khan an die Macht. Unterstützung bekam er dabei wohl auch von muslimischen Kaufleuten, die damals über einen beträchtlichen Einfluss am Hof der Horde verfügt haben müssen. Vielleicht schon als Prinz in Buchara zum Islam übergetreten, versuchte Berke jetzt diesen unter seinen Untertanen zu verbreiten. Endgültig setzte sich die Religion aus dem Süden dann unter Usbek Khan (1312-1342) in ihrer sunnitischen Auslegung durch. Die Weichen für die nächsten Jahrhunderte waren damit gestellt.

Denn auch als das Reich der Goldenen Horde im 15. Jahrhundert zu zerfallen begann, blieb der Islam die vorherrschende Religion im Steppengebiet. Erben der Mongolen wurden nun die Krimtataren, die mit diesen zusammen aus dem Osten gekommen waren. Ihr Reich umfasste zu dieser Zeit die südlichen Gebiete der heutigen Ukraine, die Krim und Teile des Kuban im nördlichen Kaukasus. Entstanden um 1430, wurde das gegen Mitte des Jahrhunderts gegründete Bachtschyssaraij unweit des heutigen Simferopol die neue Hauptstadt des Khanats.

Gleichzeitig war auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres das Osmanische Reich zur Großmacht angewachsen. Türkische Truppen siegten in Serbien und Ungarn, eroberten 1453 Konstantinopel, unterwarfen Bulgarien und machten die Fürstentümer Moldau und Walachei tributpflichtig.

Streitigkeiten im Innern und die Bedrohung durch die noch mächtige Goldene Horde führten dazu, dass sich das Khanat der Krim 1478 unter den Schutz der osmanischen Sultane begab. Eine für beide Seiten günstige Lösung: Die Hohe Pforte konnte jetzt das Schwarze Meer als höchsteigenes Binnengewässer betrachten und für die Krimtataren war der Bestand ihres Reiches auf Jahrhunderte gesichert.

Aggressiv versuchten die Krimtataren nun in der Folge, ihre Macht nach Norden auszudehnen. Ziele waren dabei Polen-Litauen und das sich neu formierende Russische Reich mit Moskau als Zentrum. Krimtatarische Heere stießen auf ihren Kriegszügen 1571 bis Moskau vor und erreichten 1656 sogar das Gebiet der Masuren. Die dabei zu Tausenden eingebrachten Gefangenen beiderlei Geschlechts und jeglichen Alters gelangten auf die Sklavenmärkte des Osmanischen Reiches und so in den gesamten Vorderen Orient. Vielleicht prominentestes Beispiel dafür ist die junge Roxelane aus Ruthenien, die es in der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Konstantinopel immerhin zur Hauptfrau Sultan Süleymans I. und Mutter dessen Nachfolgers Selim II. brachte.

Im Spannungsfeld der Mächte des nördlichen Schwarzmeergebiets, zu denen sich noch die kosakischen Hetmanate gesellten, entstanden überraschende Bündnisse. So erlangte Bogdan Chmelnizki mit Hilfe der Tataren 1649 die Unabhängigkeit von Polen, hatte diese aber schon wenige Jahre später zum Gegner, als er sich Russland unterstellte. Petro Doroschenko, Hetman der Kosaken auf dem rechten Ufer des Dnepr, verbündete sich 1674 mit Türken und Tataren und das Oberhaupt der Saporoger Kosaken Pylyp Orlyk wurde 1711 sogar Moslem.

Doch das Imperium der türkischen Sultane, der Schutzmacht der Muslime nördlich des Schwarzen Meeres hatte seinen Zenit spätestens nach der 2. Niederlage vor Wien 1683 überschritten. Russische Truppen, die schon früher die Mündung des Don bei Asow in Besitz genommen hatten drangen 1736-39 auf die Krim vor, eroberten und brandschatzten Bachtschissaraj und andere Städte. Nur eine plötzlich ausbrechende Seuche zwang das Heer des Zaren zum Rückzug. Das endgültige Aus kam nur wenige Jahrzehnte später. 1774 besiegte Zarin Katharina II. die Osmanen und gewann das nördliche Schwarzmeergebiet, welches nun als Noworossia (Neurussland) zum Reich kam. 1783 wurde dann auch die Krim okkupiert.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts drängte Zar Alexander I. die Türken weiter zurück. Nach dem Frieden von Bukarest 1812 verloren die Osmanen Bessarabien, einen Landstrich, der in den vergangenen Jahrhunderten mehrere bedeutende Wesire am Bosporus hervorgebracht hatte. Damit war das gesamte nordpontische Gebiet in der Hand Russlands. Und dieses Imperium sollte russisch, christlich und da möglichst orthodox sein. Wie verschiedene andere christliche Kirchen oder die Juden bekamen nun auch die Muslime die Folgen dieser Politik zu spüren. Viele waren schon mit den Osmanischen Truppen in die Türkei geflohen, viele andere sollten noch folgen. Ihren Platz nahmen Russen aus dem Norden und große Gruppen deutsche Siedler ein. Der Krimkrieg von 1853-1856 löste eine weitere Fluchtwelle aus. Bis 1885 war die tatarische Bevölkerung Tauriens von 1 Million auf 100 000 zusammengeschrumpft. Auf der Krim stellten sie 1893 nur noch 35 % der Bewohner, dort vorwiegend in den ländlichen Gebieten oder den Bergregionen.

Die Machtergreifung der Bolschewiki unter Lenin hatte für die Muslime der Ukraine die gleichen Auswirkungen wie für alle anderen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen der entstehenden Sowjetunion. Bürgerkrieg, Zwangsrequisitionen von Vieh und Getreide, Hunger, später die sogenannte Entkulakisierung und Zwangskollektivierung, wieder Hunger, dann stalinistischer Massenterror mit erneut Tausenden von Opfern lösten einander ab. Dazu kam noch der aggressive Atheismus der neuen Machthaber mit der Schändung und Zerstörung von Gebetsstätten und gnadenloser Verfolgung bekennender Gläubiger und Geistlicher, die oft im Gulag oder auf einem der Erschießungsstätten des NKWD endeten.

Dass viele Muslime in den Truppen Hitlers Befreier und nicht Eroberer sahen, darf bei all dem Gewesenen nicht verwundern. Dazu kam auch die speziell auf Muslime zielende nationalsozialistische Propaganda, die das Großdeutsche Reich als natürlichen Verbündeten anpries. Stalin sollte sich dafür in gewohnt grausamer Manier rächen. Per Dekret vom 18. Mai 1944 wurde die Deportation der gesamten krimtatarischen Bevölkerung nach Zentralasien und Sibirien angeordnet. Millionen Menschen begaben sich so auf einen Marsch ins Ungewisse, der für viele von ihnen der letzte werden sollte.

Noch 1988 gab es gerade einmal 0,1 % Tataren auf der Krim. Erst nach dem Ende der Sowjetunion setzte der Rückstrom in die alte Heimat ein. Heute stellen Krimtataren ca. 12 % der Einwohner auf der Halbinsel, wobei die Wiederansiedlung der Rückkehrer nicht immer problemlos verläuft. So kam es 2006 sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Muslime sind in der heutigen Ukraine eine Minderheit von ca. 2 Millionen (4 %). Keinesfalls bilden sie einen monolithischen Block zu allem entschlossener fanatischer Fundamentalisten – im Gegenteil. Die in ihre Heimat zurückgekehrten Krimtataren unterstützten die Orange Revolution und die daraus hervorgegangene Regierung Juschtschenko, gelten als westlich orientiert, wenn auch konservativ in religiösen Angelegenheiten.
 
Liberaler hingegen erscheint das Gros ihrer Glaubengeschwister auf dem "Festland", immerhin 1,7 Millionen. Zum großen Teil sind sie aus Mittelasien und den tatarischen Siedlungsgebieten Russlands im Zuge der Industrialisierung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in die entstehenden Bergbau- und Industrieregionen am Dnepr und im Donezbecken eingewandert. Zwar gehören sie zum russischsprachigen Teil der ukrainischen Bevölkerung und orientieren sich auch kulturell mehr am nördlichen Nachbarn oder den östlichen Herkunftsgebieten, betrachten jedoch die Ukraine als Teil Europas und sich selbst als Europäer.

Gering ist der Einfluss des Wahabismus, wie er von Saudi-Arabien propagiert wird. Hier gibt es nur Anhänger unter der unbedeutenden Zahl tschetschenischer Flüchtlinge. Enger dagegen sind die Beziehungen zur laizistischen Türkei. Dort sorgt eine nicht einflusslose Lobby türkischer Bürger mit tatarischen Vorfahren für ein reges wirtschaftliches und religiöses Engagement Istanbuls im nördlichen Nachbarland.

Die Spuren des Islams, seiner Vergangenheit und Gegenwart sind besonders im Süden der Ukraine, und dort nicht nur auf der Krim, augenfällig. Muslimische Gemeinden existieren in allen wichtigen Städten, so außer natürlich in Kiew auch in Charkiw, Donezk, Odessa und Cherson und Simferopol. Es sind vor allem die Moscheen, neue wie alte, die davon Zeugnis ablegen, das eine gut achthundertjährige Geschichte noch lange nicht an ihren Endpunkt gekommen ist.

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